Gefördert vom Stiftungsfonds DiaDem.
„Demenz – die Welt steht Kopf“ – das diesjährige Motto des Welt-Alzheimertages und gleichzeitig Ausdruck für das Leben vieler Menschen mit Demenz und ihrer Familien, Freunde und Kümmerer. Alltagsroutinen, das Miteinander und die Wahrnehmung der Umwelt verändern sich. All das fordert heraus und verunsichert Betroffene ebenso wie An- und Zugehörige.
Viele ziehen sich aus dem gemeinschaftlichen Leben zurück, obwohl sie dies doch gerade benötigen. Die Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen mit Geduld, Verständnis und Unterstützung zu ermöglichen, muss das Ziel sein. Wir alle können etwas tun, damit Menschen mit Demenz den Boden unter den Füßen spüren, sich aufgefangen fühlen und dabei sein können.
Kulturelle Teilhabe als Menschenrecht
Der diesjährige Schwerpunkt der Veranstaltung drehte sich um das Thema der kulturellen Teilhabe. Kultur kann über den Körper, den Verstand und über Gefühle vermittelt werden und gerade Menschen mit Demenz haben feine Fühler. Kulturelle Teilhabe und Bildung ist nicht an bestimmte Einrichtungen gebunden, sondern findet an unterschiedlichen Orten und in den verschiedensten Formen statt.
Kulturelle Angebote als Therapie auf Rezept?
Ann Katrin Adams startete den fachlichen Einstieg mit ihrem Vortrag „Von Barrieren zu Brücken - wie kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz und Angehörige/Betreuende gelingen kann“. Die promovierte Gerontologin und Leiterin des Demenzbereichs im Bürgerinstitut e.V. verknüpft wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Praxis in ihrer Arbeit mit demenziell erkrankten Menschen und ihren Angehörigen.
Kulturelle Angebote sind einerseits eine sinnstiftende Betätigung, Beschäftigung und können andererseits als Kommunikationsmittel genutzt werden. Sie stärken den empfundenen Selbstwert, erhöhen das Wohlbefinden und die Lebensqualität. Es können vorhandene Potenziale gefördert, Erinnerungen stimuliert und die Beziehung zu den An- und Zugehörigen gefördert werden.
Sichtbare und unsichtbare Barrieren gilt es abzubauen
Die flächendeckende Durchführung solcher Angebote scheitert zum Teil an sichtbaren Barrieren baulicher und konzeptioneller Art, aber auch der mangelnden Auseinandersetzung mit der Zielgruppe (Ansprache und Vertrauen). Hinzu kommen unsichtbare Barrieren, die viel schwieriger abzubauen sind wie gesellschaftliche Konventionen und unausgesprochene bekannte Regeln.
Hier sind neben der Anwendung von erprobten Konzepten (z.B. Philharmonie Essen – Konzerte für Menschen mit Demenz mit gemeinsamen Abschlusssingen oder ARTEMIS – geführte Museumsbesuch inkl. praktischer Arbeit im Städel Museum) auch kreative und mutige neue Vorhaben anzugehen, um weitere Umsetzung für die Teilhabe zu ermöglichen.
Wünschenswert wären inklusive Angebote ohne feste Zielgruppen und natürlich die partizipative Einbindung von Anfang an von Menschen mit Demenz bei der Gestaltung von Angeboten.
Die Gute Stunde: Dialogische und digitale Kulturformate, die Interaktion und Begegnung ermöglichen
Dass kulturelle Teilhabe auch digital stattfinden kann, konnte Torsten Anstädt - Projektleiter „Die Gute Stunde“ anhand vieler toller Beispiele deutlich aufzeigen. Menschen, die aufgrund sozialer und/oder gesundheitlicher Beeinträchtigung erschwerte Bedingungen haben, erhalten durch digitale Kulturangebote eine Möglichkeit zur Begegnung und Überwindung von Einsamkeit, zur Aktivierung und Partizipation. Zudem können sie als Raum für lebenslanges Lernen und das Erfahren von Lebensfreude dienen. Kultur in digitalen Formaten (Musik, Lesungen, Museumsführungen, Improtheater…) zu den Menschen zu bringen, ist eine ergänzende Möglichkeit, die weitere Teilhabe zu ermöglichen, wenn Dabeisein und Mitmachen in Präsenz – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sind.
Die „Gute Stunde“ unterstützt dabei die Entwicklung von dialoggerechten Digital-Formaten, die Beratung in technischen Fragen, die Erstellung der Programme, das Engagement der Künstler:innen und die Vermittlung des Publikums. Unabdingbar ist dabei ein einfacher digitaler Zugang zur Live Kultur, guter technischer Support und Schulungen auch durch Digital Lots:innen.
Die Gute Stunde hat seit 2021 mit über 60 Kulturschaffenden in 50 Veranstaltungen bereits über 1600 Senior: innen erreicht. www.dieGuteStunde.org
Initiative Demenzfreundliche Kommune - Stadt und Landkreis Gießen e.V. zeigt die Umsetzung
Marion Bathe stellte dem Plenum die Initiative Demenzfreundliche Kommune - Stadt und Landkreis Gießen e.V. (IDfK) vor. Ihr eigenes Herz hängt besonders an der Arbeit als Leiterin des Chores. Diese Initiative zeigt, wie ein vielfältiges kulturelles Angebot für Menschen mit Demenz erfolgreich durch Sensibilisierung, Vernetzung und viel Engagement erfolgreich umgesetzt werden kann und Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden kann.
Zu den Gästen und Teilnehmer:innen gehören Personen aus Tagespflegen, Bewohner:innen aus Senioreneinrichtungen und Privatpersonen mit ihrem Angehörigen. Die Angebote sind ein buntes Portfolio aus Besuchen von Museen, dem Staatstheater in Gießen (Orchester und Ballett), dem Botanischen Garten, dem Mathematikum oder die wöchentliche Chorprobe.
Persönliche Eindrücke gewährte uns Frau Seeger in einem Interview mit Marion Bathe über die Zeit mit ihrem verstorbenem Mann, der an Demenz erkrankt war, Ihren Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen bei Besuchen im Museum, Spaziergängen durch die Stadt oder einem einfachen Mittagessen im Restaurant. Frau Seeger hat die Angebote des IdfK mit ihrem Mann genutzt und ist auch nach dessen Tod weiterhin mit der Initiative verbunden. https://www.demenzinitiative.de/
Um alle Teilnehmer*innen fit und aufnahmefähig zu halten, wurde der Tag durch aktive Bewegungseinheiten begleitet. Evi Lindner und Jeff Sollinger aktivierten Körper und Geist durch Bewegungschoreographien aus Koordinations- und Mobilisationsübungen und Linedance. Die schmunzelnden und wachen Gesichter zeigten, dass Bewegungspausen sinnvolle unterhaltsame Begleiter auf Fachtagen sind.
Fotos Bildnachweis Bildungsakademie:
Ann-Katrin Adams
WAT_Begrüßung (Gabriele Hösl-Brunner, Diakonie Hessen)
WAT_Ref (von links nach rechts: Gabriele Hösl-Brunner (Diakonie Hessen), Karen Zacharides (BA), Torsten Anstädt (Die Gute Stunde), Ute Müller-Steck (BA), Marion Bathe, Petra Seeger (beide IdfK), Frau Bathe, Frau Seeger
Teilnehmer:innen der Veranstaltung
Ansprechpartnerin: Gabriele Hösl-Brunner